Die wissenschaftliche Methode für Gründer
Die wissenschaftliche Methode mehr Fortschritt in kürzer Zeit erreicht, als jede andere Entwicklung der Menschheit.
Das sie nicht zum Grundwissen von Grundschülern gehört, zeigt welches Potential Bildungssysteme auf der ganzen Welt haben.
Die wissenschaftliche Methode hat in Deutschland so wenig kulturelle Bedeutung, dass es nicht einmal eine Wikipedia Seite auf Deutsch gibt – hier also die Englische Seite: https://en.wikipedia.org/wiki/Scientific_method
Und die englische Definition:
„It involves formulating hypotheses, via induction, based … observations; experimental and measurement-based testing of deductions drawn from the hypotheses; and refinement (or elimination) of the hypotheses based on the experimental findings. These are principles of the scientific method, as distinguished from a definitive series of steps applicable to all scientific enterprises.”
Kurz gefasst geht es darum eine Hypothese über die Welt durch Tests zu widerlegen bzw. zu verfeinern – bis gezeigt wird, dass die Hypothese als Erklärung für die Welt dienen kann und üblicherweise in den Rang einer Theorie oder eines Gesetzes erhoben wird.
Diese Methode kann in allen Lebenslagen und Fragestellungen helfen – auch und gerade Gründern. Besprechen wir also die Methode für die Anwendung in StartUps.
Schritt 0: Am Anfang steht die Frage bzw. das Problem
Alle Gründer sollten sich als Erstes fragen, ob sie ein Problem für ihre Lösung oder eine Lösung zu ihrem Problem suchen. Generell ist ein gutes Problem ist relevant für Viele bzw. überlebenswichtig relevant für Einige, das ist aber das Thema für einen eigenen Post.
Ich mag es, wenn das Problem ordentlich formuliert aufgeschrieben ist – weil es dann als guter Referenzpunkt und gemeinsame Basis für die weitere Entwicklung dienen kann. In meiner Erfahrung ist der häufigste Grund, wenn ein Team eine Richtungsdiskussion hat oder nicht weiter weiß, dass das ursprüngliche Problem aus dem Fokus geraten ist bzw. ein unterschiedliches Verständnis existiert, was das Problem eigentlich ist. Mit anderen Worten: Die gemeinsame Mission existiert nicht mehr und muss neu definiert werden. Hier dient das Problem als Ankerpunkt. Das Problem bzw. die Fragestellung ist essentiell für das weitere Vorgehen. Nur auf der Basis der Fragestellung kann das weitere Vorgehen Sinn machen – denn wir versuchen ja genau dieses Problem und für die dazugehörige Lösung ein Verständnis zu entwickeln.
Das Problem kann also sein: „Bücher kaufen ist heute unbequem.“
Schritt 1: Formulierung einer Hypothese
Die Hypothese fasst das aktuelle Verständnis des Problems bzw. der möglichen Lösung zusammen. Die Hypothese kann allgemein sein – z.B. „Kunden wählen den Anbieter der mehr Bequemlichkeit, Preis und Sicherheit bietet.“ Oder sehr spezifisch „Kunden kaufen Bücher online, wenn der Preis vergleichbar ist und die Bedingungen Sicherheit bieten.“
Diese Hypothesen können aus bereits existierendem Wissen hergeleitet sein (zB aus erfolgreichen Modellen in anderen Märkten oder der Wissenschaft) – oder aus einer erstmaligen Einsicht der Gründer entstehen.
Wichtig an diesen Hypothesen ist immer, dass sie testbare Vorhersagen erlauben. Eine untestbare Hypothese ist wertlos, da sie keinen realen, kausalen, wiederholbaren Effekt vorhersagt auf dem sich ein Geschäft (oder eine wissenschaftliche Theorie) aufbauen ließe.
Eine unbrauchbare Hypothese ist z.B. „Ob Kunden Geld in meinem Geschäft ausgeben, liegt nur an Gründen, die ich nicht beeinflussen, messen oder verstehen kann.“ Oder „Ob ich Erfolg habe liegt nur am Glück.“
Eine – im Verhältnis – bessere Hypothese könnte sein: „Kunden geben mehr Geld in meinem Geschäft aus, wenn es regnet, da sie sich unterstellen und Regenschirme kaufen.“
Schritt 2: Herleitung einer Vorhersage
Eine gute Hypothese erlaubt also Vorhersagen, welche wir überprüfen können.
Eine mögliche Vorhersage aus den Hypothesen oben wäre: „Wir werden an einem Wochentag, an dem es regnet, 50% mehr Umsatz haben im Vergleich mit den gleichen Wochentagen, an denen es sonnig ist.“
Oder „Kunden kaufen mehr Bücher, wenn sie preiswert sind.“
Dabei gilt es möglichst sauber die Vorhersage aus der Hypothese herzuleiten.
Schritt 3: Testen der Vorhersage
Es gibt die Möglichkeit einer Beobachtung von realen Bedienungen oder eines Tests der Vorhersage. Die Beobachtung kann sehr einfach sein, wenn viele Daten aus der Vergangenheit vorliegen. Also könnte für ein Geschäft der Umsatz je Tag mit dem Wetterbericht aus dem letzten Jahr verglichen werden – und darüber geprüft werden ob Regen tatsächlich zu mehr Umsatz führt und wenn ja zu wieviel.
Wenn es diese Daten noch nicht gibt (weil sie zum Beispiel nicht aufgeschrieben wurden), kann diese Beobachtung in der Zukunft gemacht werden.
Am schnellsten kommt man häufig zum Ziel, wenn man die Testbedingungen aktiv herbeiführen kann. Also zum Beispiel ein zeitlich begrenztes Sonderangebot auf Bücher anbietet und die Verkaufszahlen zwischen rabattierten und nicht rabattierten Büchern vergleicht oder die Verkaufszahlen mit und ohne Rabatt vergleicht.
Schritt 4: Analyse der Ergebnisse
Die erste Prüfung ist einfach: Entspricht das Ergebnis der Vorhersage? Wenn nicht geht der Prozess einfach von vorne los: Warum? War meine Vorhersage sauber aus der Hypothese hergeleitet? Wenn ja, dann ist die Hypothese widerlegt und muss verändert werden. Welche andere Hypothese würde dieses Ergebnis erklären? Macht diese Hypothese testbare Vorhersagen? Welchen Test führe ich durch?
Wenn das Ergebnis mit der Vorhersage übereinstimmt, wird es schwieriger. Denn es gibt wahrscheinlich am Anfang hunderte verschiedene Hypothesen, die dieses Ergebnis erklären.
Nehmen wir das Beispiel der Hypothese: „Kunden lieben niedrige Preise“. Die Vorhersage war: „Kunden kaufen mehr, wenn es ein Sonderangebot mit niedrigen Preisen gibt“. Der Test war ein Tag mit einem 15% Sonderangebot auf bestimmte Bücher. Es gab tatsächlich durch die Bank bessere Verkaufszahlen an diesem Tag – aber es hat auch geregnet.
Die alternative Hypothese könnte sein „Regen treibt Umsatz“ und diese Hypothese würde eine richtige Vorhersage für diesem Tag machen „Wenn es regnet verkaufen wir mehr Bücher.“ Wenn keine historischen Daten vorliegen, muss der Sonderangebotstag wiederholt werden an einem Tag, an dem es nicht regnet, alle anderen Bedienungen aber ähnlich oder gleich sind (also zB gleicher Wochentag, gleiche Werbemaßnahmen, etc.)
Während das Beispiel ziemlich trivial erscheint, können solche Unterscheidungen essentiell sein für den Erfolg neuer Firmen – gerade, wenn es sich um StartUps handelt.
Und jetzt? Zurück zu Schritt 1 – verfeinere auf Basis der Ergebnisse Deine Hypothese und beginne den Prozess von neuem.
Achtung: Eine Hypothese kann nur widerlegt werden
Anderes als in der Mathematik kann eine Hypothese in der Welt nie streng bewiesen werden. Eine Hypothese kann, streng genommen, nur widerlegt werden. Das ist für Gründer wichtig zu beachten. Als Gründer (und als Mensch) tendieren wir zur selektiven Wahrnehmung derjenigen Indizien, die uns in unserer Meinung bestätigenden. Mehr als einmal habe ich eine Hypothese nach einem erfolgreichen Test als gegeben angenommen und nicht weiter versucht zu widerlegen. Mehr als einmal stellte sich die Hypothese als falsch bzw. nicht 100% korrekt heraus und mein vorschneller Schluss hat zum Verlust von viel Zeit und Geld geführt. Wir haben große Ultraschallgeräte in einer Aktion online beworben und sogar ein paar für unseren Partner verkaufen können. Daraufhin haben wir einen großen Aufwand betrieben, ein entsprechendes System aufzubauen – nur um festzustellen, dass der Effekt nicht skaliert. Wir konnten die Zahlen zwar reproduzieren aber nicht steigern, so wie die Hypothese (Die Mehrheit der Ärzte ist bereit Ultraschallgeräte online zu kaufen) vorhersagte.
Also: Eine Hypothese muss eine Vorhersage machen, die tatsächlich in einem Test ein negatives Ergebnis liefert, wenn die Hypothese falsch ist. Und ein positives Ergebnis bedeutet nicht, dass die Hypothese bewiesen ist.
Wissenschaftliche Methode für StartUps
Das Ziel eines StartUps ist es ihren Markt zu disrupten und neu zu ordnen. Dazu muss das StartUp etwas fundamental neu machen – und eine Veränderung bringen, die diese Neuordnung möglich macht.
Diese Veränderung muss auf einer bisher unbekannten Erkenntnis beruhen (es sei denn, es gibt neue äußere Kräfte wie zum Beispiel Gesetze, die den Markt unnatürlich beeinflussen) – sonst wäre die Veränderung ja schon eingeführt. Diese Erkenntnis muss also strittig sein und von der Mehrheit der Beteiligen abgelehnt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Mehrheit recht hat – und deswegen sind Tests wichtig.